„…auch wenn sich schlussendlich die Hoffnungen nicht erfüllen werden, so bringen sie doch Vieles auf den Weg“ (J.I. González Faus)
Pilar Puertas (Mexiko/Münster)
In diesem Absatz des apostolischen Schreibens (76-109), diagnostiziert Franziskus sehr treffend die Versuchungen, die gegenwärtig die in der Seelsorge Tätigen sehr bewegen: eine übertriebene Sorge für Räume der Selbständigkeit und Entspannung; mehr Individualismus verbunden mit einer Identitätskrise und Rückgang des Eifers (78); Unsicherheit aufgrund des Misstrauens und eine gewisse Ernüchterung der Gesellschaft gegenüber der Botschaft der Kirche (79); ein Relativismus in Bezug auf die grundsätzlichen Optionen, der noch gefährlicher ist als derjenige, welcher die Lehre betrifft und der dazu führt, sich an wirtschaftliche Sicherheiten oder an Räume der Macht zu klammern (80); fehlende Begeisterung angesichts einer Arbeit, die nur Trägheit und Unzufriedenheit produziert (82), dadurch wird der Glaube nach und nach verbraucht und es entsteht in den “agentes pastorales” ein Gefühl der Enttäuschung gegenüber der Realität, der Kirche und sich selbst (83); es bleibt ein pessimistisches Gefühl der Niederlage (85); eine geistliche Wüstenbildung in Gesellschaften, die sich ohne Gott aufbauen wollen oder die das Christentum bekämpfen (86); eine spirituelle Weltlichkeit, die mehr menschliche Ehre und das persönliche Wohlergehen zu suchen scheint (93).
Wir stehen vor einem Kirchenmodell, das ängstlich und pessimistisch ist, dem es an Glauben mangelt und nur allzu leicht dem Defätismus verfällt angesichts der ökonomischen und sozialen Bedingungen. Angesichts dessen ist es Franziskus ein Anliegen, die ursprüngliche Frische des Evangeliums zurück zu gewinnen. Das Evangelium ist Quelle des Freude und des Lebens und diese Freude muss die ChristInnen dazu anstiften, die Gute Nachricht von einem neuen Himmel und einer neuen Erde zu verkünden. Das verlangt eine große Veränderung, eine tatsächliche Erneuerung, um die ängstliche und kleingeistige Kirche hinter sich zu lassen und eine Kirche zu sein, die „die Welt fasziniert, sie erobert mit der Schönheit der Liebe und sie mit dem Angebot der Freiheit verführt, die das Evangelium gibt.”[1] In seinem Schreiben wiederholt der Papst sein Anliegen als Frauen und Männer der Hoffnung zu leben, mit einer missionarischen Spiritualität, die die Begegnung mit den Anderen, das Engagement in der Welt und die Leidenschaft für die Evangelisierung nährt (78); er lädt ein, das Evangelium mit Begeisterung zu leben, mit den Füßen fest auf der Erde zu stehen und mit dem Blick zu den Anderen, vor allem zu den Armen. „Aus sich selbst herauszugehen, um sich mit den Anderen zusammenzuschließen, tut gut.“ (87)
Zahlreiche Ermahnungen von Franziskus tauchen im Text auf: „Lassen wir uns die missionarische Begeisterung nicht rauben!“ (80), „Lassen wir uns die Freude der Evangelisierung nicht rauben!“ (78) „Lassen wir uns die Hoffnung nicht rauben!“ (86), „Lassen wir uns die Gemeinschaft nicht rauben!“ (92), „Lassen wir uns das Evangelium nicht rauben!“ (97), „Lassen wir uns das Ideal der Bruderliebe nicht rauben!“ (101), „Lassen wir uns die missionarische Kraft nicht rauben!”[2] Immer wieder insistiert er in den Optimismus des Glaubens, der über den gegenwärtigen Pessimismus des Katholizismus hinausgeht, und in der Notwendigkeit einer Kirche, die auf allen Ebenen ihre missionarische und evangelisierende Haltung wieder gewinnt. Nichts desto trotz glaube ich, dass nicht alle Probleme, von dem das Schreiben ausgeht, ein Produkt der aktuellen globalisierten Kultur sind oder zumindest sind sie es nicht ausschließlich.
Wenn der Papst am Ende des Kapitels von „weiteren kirchlichen Herausforderungen” spricht, dann bezieht sicht er auf die Marginalisierung von Laien, Jugendlichen und Frauen im Leben der Kirche. Er weist daraufhin, dass, obwohl die Laien die riesige Mehrheit des Volk Gottes darstellen, sie oftmals nicht das ausreichende Bewusstsein über ihre Verantwortung als Laien haben, “weil sie nicht ausgebildet sind, um wichtige Verantwortungen zu übernehmen”, oder “weil sie in ihren Teilkirchen aufgrund eines übertriebenen Klerikalismus, der sie nicht in die Entscheidungen einbezieht, keinen Raum gefunden haben, um sich artikulieren und handeln zu können”. (102) Auf ähnliche Weise spricht er von den Jugendlichen, die “in den üblichen Strukturen oft keine Antworten auf ihre Sorgen, Nöte, Probleme und Verletzungen [finden]. Uns Erwachsenen verlangt es etwas ab, ihnen geduldig zuzuhören, ihre Sorgen und ihre Forderungen zu verstehen und zu lernen, mit ihnen eine Sprache zu sprechen, die sie verstehen.“ (105)
Mir scheint, das steht in einem engen Zusammenhang mit den abnehmenden Zahlen von engagierten “agentes pastorales”, was der Papst bedauert. Kontinuierlich erleben die Laien – sowohl Jugendliche als auch Männer und Frauen – fehlenden Enthusiasmus in der Pastoralarbeit, denn sie fühlen sich kontrolliert und gering geschätzt, denn sie fühlen sich weder mitverantwortlich noch identifizieren sie sich mit ihrer evangelisierenden Mission. Selbstverständlich produziert das Unzufriedenheit, Ermüdung und wenig Lust, sich für eine Arbeit zu engagieren, die sie nicht als die Ihrige betrachten, was schließlich darin endet, dass ihr Eifer abnimmt und die missionarische Freude unterdrückt wird. Wenn der Aufruf Franziskus zur Förderung von mehr Protagonismus der jungen Leute und einer größeren Verantwortung von Laien in der pfarrgemeindlichen Arbeit in konkrete Taten übersetzt werden würde, dann würde man vermutlich erreichen, dass sie sich als Teil der Kirche fühlen würden und sie als die Ihrige betrachten und so würden sie sich auch darauf verpflichten, Kirche nicht nur auf einer zwischenkirchlichen Ebene zu sein und zu gestalten, sondern auch in der sozialen, politischen und ökonomischen Welt.
In Bezug auf die Frauen erkennt er ihre Marginalisierung im Inneren der Katholischen Kirche an und erläutert die Notwendigkeit, die Räume ihrer Beteiligung zu erweitern mit dem Ziel, „eine wirksamere weibliche Gegenwart in der Kirche“ (103), vor allem in den Bereichen, „wo wichtige Entscheidungen getroffen werden“ (104), zu erlangen. Obwohl es ein wiederkehrendes Thema ist, so scheint es mir doch, dass er auch in diese Richtung keine Schritte unternommen hat. Wenn man beispielsweise die wichtige Rolle berücksichtigt, die die Frauen im Leben der Familie einnehmen, so wäre die Forderung nach einer größeren Beteiligung von Frauen auf der nächsten Synode über die Familie eine gute Gelegenheit, um damit zu beginnen, “die Räume für eine wirksamere weibliche Gegenwart in der Kirche“ zu fördern, in einem Raum, wo man mit Gewissheit „wichtige Entscheidungen getroffen werden”. An verschiedenen Stellen hat Franziskus festgestellt, dass man, um besser über die Funktion von Frauen in der Kirche reflektieren zu können, „noch mehr gearbeitet werden muss, um eine tiefgehende Theologie der Frau zu entwickeln.”[3]
Daran sieht man, dass der Papst die Beiträge der feministischen Theologie der letzten Jahrzehnte ignoriert oder sie zumindest nicht berücksichtigt. Dazu gehören unter anderem: Die Kritik an der hierarchische und patriarchale Organisiertheit der Kirche und der Gesellschaft, die Hermeneutik des Verdachts im Blick auf die Interpretation der christlichen Botschaft und der biblischen Texte, die Anklage von Sexismus und Androzentrismus christlicher Kirchen und Theologie, die Jesusbewegung als Gemeinschaft von Gleichen zu verstehen und sich für eine Kirche einzusetzen, die inklusiv ist und die dem evangelischen Prinzip der Gleichheit zwischen Frauen und Männern Gestalt gibt. Mehr als darüber nachzudenken, eine tiefgehende Theologie der Frau zu entwickeln – die es ja schon gibt – muss darüber diskutiert werden, wie die Frauen einen größeren Protagonismus in der Kirche leben können, und darüber nachzudenken auf welche Weise können die Räume der Macht und der Entscheidungsfindung in ihrem Inneren erneuert werden und des Weiteren Alternativen zu suchen, damit Klerus und Laien die notwendigen Schritte tun, um diese Veränderungen zu erreichen.
Es stimmt, dass die Worte und Gesten von Franziskus wunderbar und hoffnungsvoll sind, aber das reicht nicht. Wie Hans Küng aufzeigt, ist Evangelii Gaudium eine wichtige Etappe, „aber bei weitem nicht das Ziel“.[4] Hoffen wir also auf die Veränderung der Strukturen, die das ermöglichen, was die Worte und Gesten vorweg nehmen, im Bewusstsein, dass wir alle bewusste und kritische Akteure in der Nachfolge Jesu sind am Dienst an den Armen, um so von unten diese notwendige „Revolution der Zärtlichkeit“ (88) zu schaffen, die es möglich macht, eine Kirche aufzubauen, die so viele wollen und von der wir träumen.
Pilar Puertas, Historikerin, Mitarbeiterin am Institut für Theologie und Politik / Münster
[1] Ansprache von Papst Franziskus an die Versammlung der Kongregation für die Bischöfe, am 27.02.2014. www.vatican.va/holy_father/francesco/speeches/2014/february/documents/papa-francesco_20140227_riunione-congregazione-vescovi_sp.html. Gesehen am 11.03.2014. Auch wenn der Papst in seiner Rede auf die Rolle der Bischöfe explizit eingeht, ist es offensichtlich, dass es die Rolle der Kirche ist, von der er träumt: eine missionarische und evangelisierende Kirche, die auf Jesus und das Evangelium ausgerichtet ist.
[2] ANMERKUNG: Sowohl in der spanischen, vermutlich Ursprungsversion, aber auch in der englischen, französischen, italienischen, portugiesischen und polnischen Version von EG heißt es “rauben”: robar, to rob, voler, rubare, roubar, okradać. Die deutsche Übersetzung spricht lediglich von “nehmen”: “Lassen wir uns das Evangelium nicht nehmen!” Diese Schwächung der deutschen Version scheint keinen Zufall. An anderer Stellen des Dokuments kann man verschieden Änderungen finden, die deutlich die stärke der ursprünglichen Botschaft reduzieren.
[3] Interview Antonio Spadaro mit dem Papst, vom 19. bis 29.08.2013. www.razonyfe.org/images/stories/ Entrevista_al_papa_Francisco.pdf, p. 17. Gesehen am 07.02.2014. Vgl. auch das Interview mit dem Papst im Flugzeug von Brasilien nach Rom im Juli 2013. http://www.vidanueva.es/2013/07/31/transcripcion-completa-de-la-entrevista-del-papa-francisco-en-el-avion-de-brasil-a-roma/. Gesehen am 13.08.2013.
[4] Hans Küng, “Contra el viento de proa de la Curia”, El País, 28.11.2013. http://elpais.com/elpais/2013/11/27/opinion/1385576137_961620.html. Consultado el 6 de febrero de 2014.
zu Kommentar Nr. 1 hier klicken
zu Kommentar Nr. 2 hier klicken
zu Kommentar Nr. 3 hier klicken
zu Kommentar Nr. 4 hier klicken
zu Kommentar Nr. 5 hier klicken
Der Text:
II. Versuchungen der in der Seelsorge Tätigen
76. Ich bin unendlich dankbar für den Einsatz aller, die in der Kirche arbeiten. Ich möchte mich jetzt nicht dabei aufhalten, die Aktivitäten der verschiedenen in der Seelsorge Tätigen darzustellen, von den Bischöfen bis hin zum bescheidensten und am meisten verborgenen der kirchlichen Dienste. Stattdessen möchte ich gerne über die Herausforderungen nachdenken, denen sie alle sich im Kontext der augenblicklichen globalisierten Kultur stellen müssen. Doch zuallererst und der Gerechtigkeit halber muss ich sagen, dass der Beitrag der Kirche in der heutigen Welt enorm ist. Unser Schmerz und unsere Scham wegen der Sünden einiger Glieder der Kirche und wegen unserer eigenen Sünden dürfen nicht vergessen lassen, wie viele Christen ihr Leben aus Liebe hingeben. Sie helfen vielen Menschen, sich in unsicheren Krankenhäusern behandeln zu lassen oder dort in Frieden zu sterben; in den ärmsten Gegenden der Erde begleiten sie Menschen, die Sklaven verschiedener Abhängigkeiten geworden sind; sie opfern sich auf in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen; sie kümmern sich um alte Menschen, die von allen verlassen sind; sie versuchen, in feindlicher Umgebung Werte zu vermitteln oder sie widmen sich auf viele andere Arten, die die grenzenlose Liebe zur Menschheit deutlich machen, die der Mensch gewordene Gott uns eingegeben hat. Ich danke für das schöne Beispiel, das viele Christen mir geben, die ihr Leben und ihre Zeit freudig hingeben. Dieses Zeugnis tut mir sehr gut und unterstützt mich in meinem persönlichen Streben, den Egoismus zu überwinden, um mich noch intensiver meiner Aufgabe widmen zu können.
77. Trotzdem sind wir als Kinder unserer Zeit alle irgendwie unter dem Einfluss der gegenwärtigen globalisierten Kultur, die, obwohl sie Werte und neue Möglichkeiten bietet, uns auch einschränken, beeinflussen und sogar krank machen kann. Ich gebe zu, dass wir Räume schaffen müssen, die geeignet sind, die in der Seelsorge Tätigen zu motivieren und zu heilen, »Orte, wo man den eigenen Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Christus erneuern kann, wo man die eigenen innersten Fragen und Alltagssorgen miteinander teilen kann, wo man sein Leben und seine Erfahrungen einer tiefgreifenden Überprüfung im Licht des Evangeliums unterziehen kann, mit dem Ziel, die eigenen individuellen und gesellschaftlichen Entscheidungen auf das Gute und das Schöne hin auszurichten«.62 Zugleich möchte ich auf einige Versuchungen aufmerksam machen, die besonders heute die in der Seelsorge Tätigen befallen.
Ja zur Herausforderung einer missionarischen Spiritualität
78. Heute kann man bei vielen in der Seelsorge Tätigen, einschließlich der gottgeweihten Personen, eine übertriebene Sorge um die persönlichen Räume der Selbständigkeit und der Entspannung feststellen, die dazu führt, die eigenen Aufgaben wie ein bloßes Anhängsel des Lebens zu erleben, als gehörten sie nicht zur eigenen Identität. Zugleich wird das geistliche Leben mit einigen religiösen Momenten verwechselt, die einen gewissen Trost spenden, aber nicht die Begegnung mit den anderen, den Einsatz in der Welt und die Leidenschaft für die Evangelisierung nähren. So kann man bei vielen in der Verkündigung Tätigen, obwohl sie beten, eine Betonung des Individualismus, eine Identitätskrise und einen Rückgang des Eifers feststellen. Das sind drei Übel, die sich gegenseitig fördern.
79. Die Medienkultur und manche intellektuelle Kreise vermitteln gelegentlich ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber der Botschaft der Kirche und eine gewisse Ernüchterung. Daraufhin entwickeln viele in der Seelsorge Tätige, obwohl sie beten, eine Art Minderwertigkeitskomplex, der sie dazu führt, ihre christliche Identität und ihre Überzeugungen zu relativieren oder zu verbergen. Dann entsteht ein Teufelskreis, denn so sind sie nicht glücklich über das, was sie sind und was sie tun, identifizieren sich nicht mit dem Verkündigungsauftrag, und das schwächt ihren Einsatz. Schließlich ersticken sie die Missionsfreude in einer Art Besessenheit, so zu sein wie alle anderen und das zu haben, was alle anderen besitzen. Auf diese Weise wird die Aufgabe der Evangelisierung als Zwang empfunden, man widmet ihr wenig Mühe und eine sehr begrenzte Zeit. 80. Es entwickelt sich bei den in der Seelsorge Tätigen jenseits des geistlichen Stils oder der gedanklichen Linie, die sie haben mögen, ein Relativismus, der noch gefährlicher ist als der, welcher die Lehre betrifft. Es hat etwas mit den tiefsten und aufrichtigsten Entscheidungen zu tun, die eine Lebensform bestimmen. Dieser praktische Relativismus besteht darin, so zu handeln, als gäbe es Gott nicht, so zu entscheiden, als gäbe es die Armen nicht, so zu träumen, als gäbe es die anderen nicht, so zu arbeiten, als gäbe es die nicht, die die Verkündigung noch nicht empfangen haben. Es ist erwähnenswert, dass sogar, wer dem Anschein nach solide doktrinelle und spirituelle Überzeugungen hat, häufig in einen Lebensstil fällt, der dazu führt, sich an wirtschaftliche Sicherheiten oder an Räume der Macht und des menschlichen Ruhms zu klammern, die man sich auf jede beliebige Weise verschafft, anstatt das Leben für die anderen in der Mission hinzugeben. Lassen wir uns die missionarische Begeisterung nicht nehmen!
Nein zur egoistischen Trägheit
81. Wenn wir mehr missionarische Dynamik brauchen, die der Erde Salz und Licht bringt, fürchten viele Laien, jemand könne sie einladen, irgendeine apostolische Aufgabe zu erfüllen, und versuchen, jeder Verpflichtung auszuweichen, die ihnen ihre Freizeit nehmen könnte. Heute ist es zum Beispiel sehr schwierig geworden, qualifizierte Katechisten für die Pfarreien zu finden, die in ihrer Aufgabe über mehrere Jahre hin ausharren. Doch etwas Ähnliches geschieht bei den Priestern, die wie besessen um ihre persönliche Zeit besorgt sind. Das ist oft darauf zurückzuführen, dass sie das dringende Bedürfnis haben, ihre Freiräume zu bewahren, als sei ein Evangelisierungsauftrag ein gefährliches Gift anstatt eine freudige Antwort auf die Liebe Gottes, der uns zur Mission ruft und uns erfüllt und fruchtbar macht. Einige sträuben sich dagegen, die Freude an der Mission bis auf den Grund zu erfahren und bleiben in eine lähmende Trägheit eingehüllt.
82. Das Problem ist nicht immer das Übermaß an Aktivität, sondern es sind vor allem die schlecht gelebten Aktivitäten, ohne die entsprechenden Beweggründe, ohne eine Spiritualität, die die Tätigkeit prägt und wünschenswert macht. Daher kommt es, dass die Pflichten übermäßig ermüdend sind und manchmal krank machen. Es handelt sich nicht um eine friedvoll-heitere Anstrengung, sondern um eine angespannte, drückende, unbefriedigende und letztlich nicht akzeptierte Mühe. Diese pastorale Trägheit kann verschiedene Ursachen haben. Einige verfallen ihr, weil sie nicht realisierbaren Plänen nachgehen und sich nicht gerne dem widmen, was sie mit Gelassenheit tun könnten. Andere, weil sie die schwierige Entwicklung der Vorgänge nicht akzeptieren und wollen, dass alles vom Himmel fällt. Andere, weil sie sich an Projekte oder an Erfolgsträume klammern, die von ihrer Eitelkeit gehegt werden. Wieder andere, weil sie den wirklichen Kontakt zu den Menschen verloren haben, in einer Entpersönlichung der Seelsorge, die dazu führt, mehr auf die Organisation als auf die Menschen zu achten, so dass sie die „Marschroute“ mehr begeistert als die Wegstrecke selber. Andere fallen in die Trägheit, weil sie nicht warten können und den Rhythmus des Lebens beherrschen wollen. Das heutige Verlangen, unmittelbare Ergebnisse zu erzielen, bewirkt, dass die in der Seelsorge Tätigen das Empfinden irgend-eines Widerspruchs, ein scheinbares Scheitern, eine Kritik, ein Kreuz nicht leicht ertragen.
83. So nimmt die größte Bedrohung Form an, der »graue Pragmatismus des kirchlichen Alltags, bei dem scheinbar alles mit rechten Dingen zugeht, in Wirklichkeit aber der Glaube verbraucht wird und ins Schäbige absinkt«63. Es entwickelt sich die Grabespsychologie, die die Christen allmählich in Mumien für das Museum verwandelt. Enttäuscht von der Wirklichkeit, von der Kirche oder von sich selbst, leben sie in der ständigen Versuchung, sich an eine hoffnungslose, süßliche, Traurigkeit zu klammern, die sich des Herzens bemächtigt wie »das kostbarste der Elixiere des Dämons«64. Berufen, um Licht und Leben zu vermitteln, lassen sie sich schließlich von Dingen faszinieren, die nur Dunkelheit und innere Müdigkeit erzeugen und die apostolische Dynamik schwächen. Aus diesen Gründen erlaube ich mir, darauf zu beharren: Lassen wir uns die Freude der Evangelisierung nicht nehmen!
Nein zum sterilen Pessimismus
84. Die Freude aus dem Evangelium kann nichts und niemand uns je nehmen (vgl. Joh 16,22). Die Übel unserer Welt – und die der Kirche – dürften niemals Entschuldigungen sein, um unseren Einsatz und unseren Eifer zu verringern. Betrachten wir sie als Herausforderungen, um zu wachsen. Außerdem ist der Blick des Glaubens fähig, das Licht zu erkennen, das der Heilige Geist immer inmitten der Dunkelheit verbreitet. Er vergisst nicht, dass »wo die Sünde mächtig wurde, die Gnade übergroß geworden ist« (Röm 5,20). Unser Glaube ist herausgefordert, den Wein zu erahnen, in den das Wasser verwandelt werden kann, und den Weizen zu entdecken, der inmitten des Unkrauts wächst. Fünfzig Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil darf der größte Realismus nicht weniger Vertrauen auf den Geist, noch weniger Großherzigkeit bedeuten, auch wenn die Schwächen unserer Zeit uns schmerzen und wir weit entfernt sind von naiven Optimismen. In diesem Sinn können wir die Worte des seligen Johannes XXIII. an jenem denkwürdigen Tag des 11. Oktober 1962 noch einmal hören: Es »dringen bisweilen betrübliche Stimmen an Unser Ohr, die zwar von großem Eifer zeugen, aber weder genügend Sinn für die rechte Beurteilung der Dinge noch ein kluges Urteil walten lassen. Sie sehen in den modernen Zeiten nur Unrecht und Niedergang. […] Doch Wir können diesen Unglückspropheten nicht zustimmen, wenn sie nur unheilvolle Ereignisse vorhersagen, so, als ob das Ende der Welt bevorstünde. In der gegenwärtigen Weltordnung führt uns die göttliche Vorsehung vielmehr zu einer neuen Ordnung der Beziehungen unter den Menschen. Sie vollendet so durch das Werk der Menschen selbst und weit über ihre Erwartungen hinaus in immer größerem Maß ihre Pläne, die höher sind als menschliche Gedanken und sich nicht berechnen lassen – und alles, auch die Meinungsverschiedenheiten unter den Menschen, dienen so dem größeren Wohl der Kirche.«65
85. Eine der ernsthaftesten Versuchungen, die den Eifer und den Wagemut ersticken, ist das Gefühl der Niederlage, das uns in unzufriedene und ernüchterte Pessimisten mit düsterem Gesicht verwandelt. Niemand kann einen Kampf aufnehmen, wenn er im Voraus nicht voll auf den Sieg vertraut. Wer ohne Zuversicht beginnt, hat von vornherein die Schlacht zur Hälfte verloren und vergräbt die eigenen Talente. Auch wenn man sich schmerzlich der eigenen Schwäche bewusst ist, muss man vorangehen, ohne sich geschlagen zu geben, und an das denken, was der Herr dem heiligen Paulus sagte: »Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit« (2 Kor 12,9). Der christliche Sieg ist immer ein Kreuz, doch ein Kreuz, das zugleich ein Siegesbanner ist, das man mit einer kämpferischen Sanftmut gegen die Angriffe des Bösen trägt. Der böse Geist der Niederlage ist ein Bruder der Versuchung, den Weizen vorzeitig vom Unkraut zu trennen, und er ist das Produkt eines ängstlichen egozentrischen Misstrauens.
86. Es ist offenkundig, dass an einigen Orten eine geistliche „Wüstenbildung“ stattgefunden hat; sie ist das Ergebnis des Planes von Gesellschaften, die sich ohne Gott aufbauen wollen oder die ihre christlichen Wurzeln zerstören. Dort »wird die christliche Welt unfruchtbar und verbraucht wie ein völlig ausgelaugter Boden, der zu Sand geworden ist«66. In anderen Ländern zwingt der gewaltsame Widerstand gegen das Christentum die Christen, ihren Glauben gleichsam verborgen zu leben in dem Land, das sie lieben. Das ist eine andere, sehr schmerzliche Form von Wüste. Auch die eigene Familie oder der eigene Arbeitsplatz können diese trockene Umgebung sein, in der man den Glauben bewahren und versuchen muss, ihn auszustrahlen. »Doch gerade von der Erfahrung der Wüste her, von dieser Leere her können wir erneut die Freude entdecken, die im Glauben liegt, seine lebensnotwendige Bedeutung für uns Menschen. In der Wüste entdeckt man wieder den Wert dessen, was zum Leben wesentlich ist; so gibt es in der heutigen Welt unzählige, oft implizit oder negativ zum Ausdruck gebrachte Zeichen des Durstes nach Gott, nach dem letzten Sinn des Lebens. Und in der Wüste braucht man vor allem glaubende Menschen, die mit ihrem eigenen Leben den Weg zum Land der Verheißung weisen und so die Hoffnung wach halten.«67 In jedem Fall sind wir unter diesen Umständen berufen, wie große Amphoren zu sein, um den anderen zu trinken zu geben. Manchmal verwandelt sich das Amphoren-Dasein in ein schweres Kreuz, doch gerade am Kreuz hat der Herr, durchbohrt von der Lanze, sich uns als Quelle lebendigen Wassers übereignet. Lassen wir uns die Hoffnung nicht nehmen!
Ja zu den neuen, von Jesus Christus gebildeten Beziehungen
87. Heute, da die Netze und die Mittel menschlicher Kommunikation unglaubliche Entwicklungen erreicht haben, spüren wir die Herausforderung, die „Mystik“ zu entdecken und weiterzugeben, die darin liegt, zusammen zu leben, uns unter die anderen zu mischen, einander zu begegnen, uns in den Armen zu halten, uns anzulehnen, teilzuhaben an dieser etwas chaotischen Menge, die sich in eine wahre Erfahrung von Brüderlichkeit verwandeln kann, in eine solidarische Karawane, in eine heilige Wallfahrt. Auf diese Weise werden sich die größeren Möglichkeiten der Kommunikation als größere Möglichkeiten der Begegnung und der Solidarität zwischen allen erweisen. Wenn wir diesen Weg verfolgen könnten, wäre das etwas sehr Gutes, sehr Heilsames, sehr Befreiendes, eine große Quelle der Hoffnung! Aus sich selbst herausgehen, um sich mit den anderen zusammenzuschließen, tut gut. Sich in sich selbst zu verschließen bedeutet, das bittere Gift der Immanenz zu kosten, und in jeder egoistischen Wahl, die wir treffen, wird die Menschlichkeit den kürzeren ziehen.
88. Das christliche Ideal wird immer dazu auffordern, den Verdacht, das ständige Misstrauen, die Angst überschwemmt zu werden, die defensiven Verhaltensweisen, die die heutige Welt uns auferlegt, zu überwinden. Viele versuchen, vor den anderen in ein bequemes Privatleben oder in den engen Kreis der Vertrautesten zu fliehen, und verzichten auf den Realismus der sozialen Dimension des Evangeliums. Ebenso wie nämlich einige einen rein geistlichen Christus ohne Leib und ohne Kreuz wollen, werden zwischenmenschliche Beziehungen angestrebt, die nur durch hoch entwickelte Apparate vermittelt werden, durch Bildschirme und Systeme, die man auf Kommando ein- und ausschalten kann. Unterdessen lädt das Evangelium uns immer ein, das Risiko der Begegnung mit dem Angesicht des anderen einzugehen, mit seiner physischen Gegenwart, die uns anfragt, mit seinem Schmerz und seinen Bitten, mit seiner ansteckenden Freude in einem ständigen unmittelbar physischen Kontakt. Der echte Glaube an den Mensch gewordenen Sohn Gottes ist untrennbar von der Selbsthingabe, von der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, vom Dienst, von der Versöhnung mit dem Leib der anderen. Der Sohn Gottes hat uns in seiner Inkarnation zur Revolution der zärtlichen Liebe eingeladen.
89. Die Isolierung, die eine Version des Immanentismus ist, kann sich in einer falschen Autonomie ausdrücken, die Gott ausschließt und die doch auch im Religiösen eine Art spirituellen Konsumismus finden kann, der ihrem krankhaften Individualismus entgegenkommt. Die Rückkehr zum Sakralen und die spirituelle Suche, die unsere Zeit kennzeichnen, sind doppeldeutige Erscheinungen. Mehr als im Atheismus besteht heute für uns die Herausforderung darin, in angemessener Weise auf den Durst vieler Menschen nach Gott zu antworten, damit sie nicht versuchen, ihn mit irreführenden Antworten oder mit einem Jesus Christus ohne Leib und ohne Einsatz für den anderen zu stillen. Wenn sie in der Kirche nicht eine Spiritualität finden, die sie heilt, sie befreit, sie mit Leben und Frieden erfüllt und die sie zugleich zum solidarischen Miteinander und zur missionarischen Fruchtbarkeit ruft, werden sie schließlich der Täuschung von Angeboten erliegen, die weder die Menschlichkeit fördern, noch Gott die Ehre geben.
90. Die besonderen Formen der Volksfrömmigkeit sind inkarniert, denn sie sind aus der Inkarnation des christlichen Glaubens in eine Volkskultur hervorgegangen. Eben deshalb schließen sie eine persönliche Beziehung nicht etwa zu harmonisierenden Energien, sondern zu Gott, zu Jesus Christus, zu Maria oder zu einem Heiligen ein. Sie besitzen Leiblichkeit, haben Gesichter. Sie sind geeignet, Möglichkeiten der Beziehung zu fördern und nicht individualistische Flucht. In anderen Teilen unserer Gesellschaften steigt die Wertschätzung für Formen einer „Spiritualität des Wohlbefindens“ ohne Gemeinschaft, für eine „Theologie des Wohlstands“ ohne brüderlichen Einsatz oder für subjektive Erfahrungen ohne Gesicht, die sich auf eine immanentis-tische innere Suche beschränken.
91. Eine wichtige Herausforderung ist, zu zeigen, dass die Lösung niemals darin besteht, einer persönlichen und engagierten Beziehung zu Gott, die sich zugleich für die anderen einsetzt, auszuweichen. Das ist es, was heute geschieht, wenn die Gläubigen sich so verhalten, dass sie sich gleichsam verstecken und den anderen aus den Augen gehen, und wenn sie spitzfindig von einem Ort zum anderen oder von einer Aufgabe zur anderen flüchten, ohne tiefe und feste Bindungen zu schaffen: »Imaginatio locorum et mutatio multos fefellit«68. Es ist eine falsche Abhilfe, die das Herz und manchmal auch den Leib krank macht. Es ist nötig, zu der Einsicht zu verhelfen, dass der einzige Weg darin besteht zu lernen, den Mitmenschen in der rechten Haltung zu begegnen, indem man sie schätzt und als Weggefährten akzeptiert ohne innere Widerstände. Noch besser: Es geht darum zu lernen, Jesus im Gesicht der anderen, in ihrer Stimme, in ihren Bitten zu erkennen. Und auch zu lernen, in einer Umarmung mit dem gekreuzigten Jesus zu leiden, wenn wir ungerechte Aggressionen oder Undankbarkeiten hinnehmen, ohne jemals müde zu werden, die Brüderlichkeit zu wählen.69
92. Dort liegt die wahre Heilung, da die wirklich gesund und nicht krank machende Weise, mit anderen in Beziehung zu treten, eine mystische, kontemplative Brüderlichkeit ist, die die heilige Größe des Nächsten zu sehen weiß; die in jedem Menschen Gott zu entdecken weiß; die die Lästigkeiten des Zusammenlebens zu ertragen weiß, indem sie sich an die Liebe Gottes klammert; die das Herz für die göttliche Liebe zu öffnen versteht, um das Glück der anderen zu suchen, wie es ihr guter himmlischer Vater sucht. Gerade in dieser Zeit und auch dort, wo sie eine »kleine Herde« sind (Lk 12,32), sind die Jünger des Herrn berufen, als eine Gemeinschaft zu leben, die Salz der Erde und Licht der Welt ist (vgl. Mt 5,13-16). Sie sind berufen, auf immer neue Weise Zeugnis für eine evangelisierende Zugehörigkeit zu geben.70 Lassen wir uns die Gemeinschaft nicht nehmen!
Nein zur spirituellen Weltlichkeit
93. Die spirituelle Weltlichkeit, die sich hinter dem Anschein der Religiosität und sogar der Liebe zur Kirche verbirgt, besteht darin, anstatt die Ehre des Herrn die menschliche Ehre und das persönliche Wohlergehen zu suchen. Es ist das, was der Herr den Pharisäern vorwarf: »Wie könnt ihr zum Glauben kommen, wenn ihr eure Ehre voneinander empfangt, nicht aber die Ehre sucht, die von dem einen Gott kommt?« (Joh 5,44). Es handelt sich um eine subtile Art, »den eigenen Vorteil, nicht die Sache Jesu Christi« zu suchen (Phil 2,21). Sie nimmt viele Formen an, je nach dem Naturell des Menschen und der Lage, in die sie eindringt. Da sie an die Suche des Anscheins gebunden ist, geht sie nicht immer mit öffentlichen Sünden einher, und äußerlich erscheint alles korrekt. Doch wenn diese Mentalität auf die Kirche übergreifen würde, »wäre das unendlich viel verheerender als jede andere bloß moralische Weltlichkeit«.71
94. Diese Weltlichkeit kann besonders aus zwei zutiefst miteinander verbundenen Quellen gespeist werden. Die eine ist die Faszination des Gnostizismus, eines im Subjektivismus eingeschlossenen Glaubens, bei dem einzig eine bestimmte Erfahrung oder eine Reihe von Argumentationen und Kenntnissen interessiert, von denen man meint, sie könnten Trost und Licht bringen, wo aber das Subjekt letztlich in der Immanenz seiner eigenen Vernunft oder seiner Gefühle eingeschlossen bleibt. Die andere ist der selbstbezogene und prometheische Neu-Pelagianismus derer, die sich letztlich einzig auf die eigenen Kräfte verlassen und sich den anderen überlegen fühlen, weil sie bestimmte Normen einhalten oder weil sie einem gewissen katholischen Stil der Vergangenheit unerschütterlich treu sind. Es ist eine vermeintliche doktrinelle oder disziplinarische Sicherheit, die Anlass gibt zu einem narzisstischen und autoritären Elitebewusstsein, wo man, anstatt die anderen zu evangelisieren, sie analysiert und bewertet und, anstatt den Zugang zur Gnade zu erleichtern, die Energien im Kontrollieren verbraucht. In beiden Fällen existiert weder für Jesus Christus noch für die Menschen ein wirkliches Interesse. Es sind Erscheinungen eines anthropozentrischen Immanentismus. Es ist nicht vorstellbar, dass aus diesen schmälernden Formen von Christentum eine echte Evangelisierungsdynamik hervorgehen könnte.
95. Diese bedrohliche Weltlichkeit zeigt sich in vielen Verhaltensweisen, die scheinbar einander entgegengesetzt sind, aber denselben Anspruch erheben, „den Raum der Kirche zu beherrschen“. Bei einigen ist eine ostentative Pflege der Liturgie, der Lehre und des Ansehens der Kirche festzustellen, doch ohne dass ihnen die wirkliche Einsenkung des Evangeliums in das Gottesvolk und die konkreten Erfordernisse der Geschichte Sorgen bereiten. Auf diese Weise verwandelt sich das Leben der Kirche in ein Museumsstück oder in ein Eigentum einiger weniger. Bei anderen verbirgt sich dieselbe spirituelle Weltlichkeit hinter dem Reiz, gesellschaftliche oder politische Errungenschaften vorweisen zu können, oder in einer Ruhmsucht, die mit dem Management praktischer Angelegenheiten verbunden ist, oder darin, sich durch die Dynamiken der Selbstachtung und der Selbstverwirklichung angezogen zu fühlen. Sie kann auch ihren Ausdruck in verschiedenen Weisen finden, sich selbst davon zu überzeugen, dass man in ein intensives Gesellschaftsleben eingespannt ist, angefüllt mit Reisen, Versammlungen, Abendessen und Empfängen. Oder sie entfaltet sich in einem Manager-Funktionalismus, der mit Statistiken, Planungen und Bewertungen überladen ist und wo der hauptsächliche Nutznießer nicht das Volk Gottes ist, sondern eher die Kirche als Organisation. In allen Fällen fehlt dieser Mentalität das Siegel des Mensch gewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Christus, sie schließt sich in Elitegruppen ein und macht sich nicht wirklich auf die Suche nach den Fernstehenden, noch nach den unermesslichen, nach Christus dürstenden Menschenmassen. Da ist kein Eifer mehr für das Evangelium, sondern der unechte Genuss einer egozentrischen Selbstgefälligkeit.
96. In diesem Kontext wird die Ruhmsucht derer gefördert, die sich damit zufrieden geben, eine gewisse Macht zu besitzen, und lieber Generäle von geschlagenen Heeren sein wollen, als einfache Soldaten einer Schwadron, die weiterkämpft. Wie oft erträumen wir peinlich genaue und gut entworfene apostolische Expansionsprojekte, typisch für besiegte Generäle! So verleugnen wir unsere Kirchengeschichte, die ruhmreich ist, insofern sie eine Geschichte der Opfer, der Hoffnung, des täglichen Ringens, des im Dienst aufgeriebenen Lebens, der Beständigkeit in mühevoller Arbeit ist, denn jede Arbeit geschieht „im Schweiß unseres Angesichts“. Stattdessen unterhalten wir uns eitel und sprechen über „das, was man tun müsste“ – die Sünde des „man müsste tun“ – wie spirituelle Lehrer und Experten der Seelsorge, die einen Weg weisen, ihn selber aber nicht gehen. Wir pflegen unsere grenzenlose Fantasie und verlieren den Kontakt zu der durchlittenen Wirklichkeit unseres gläubigen Volkes.
97. Wer in diese Weltlichkeit gefallen ist, schaut von oben herab und aus der Ferne, weist die Prophetie der Brüder ab, bringt den, der ihn in Frage stellt, in Misskredit, hebt ständig die Fehler der anderen hervor und ist besessen vom Anschein. Er hat den Bezugspunkt des Herzens verkrümmt auf den geschlossenen Horizont seiner Immanenz und seiner Interessen, mit der Konsequenz, dass er nicht aus seinen Sünden lernt, noch wirklich offen ist für Vergebung. Es ist eine schreckliche Korruption mit dem Anschein des Guten. Man muss sie vermeiden, indem man die Kirche in Bewegung setzt, dass sie aus sich herausgeht, in eine auf Jesus Christus ausgerichtete Mission, in den Einsatz für die Armen. Gott befreie uns von einer weltlichen Kirche unter spirituellen oder pastoralen Drapierungen! Diese erstickende Weltlichkeit erfährt Heilung, wenn man die reine Luft des Heiligen Geistes kostet, der uns davon befreit, um uns selbst zu kreisen, verborgen in einem religiösen Anschein über gottloser Leere. Lassen wir uns das Evangelium nicht nehmen!
Nein zum Krieg unter uns
98. Wie viele Kriege innerhalb des Gottesvolkes und in den verschiedenen Gemeinschaften! Im Wohnviertel, am Arbeitsplatz – wie viele Kriege aus Neid und Eifersucht, auch unter Christen! Die spirituelle Weltlichkeit führt einige Christen dazu, im Krieg mit anderen Christen zu sein, die sich ihrem Streben nach Macht, Ansehen, Vergnügen oder wirtschaftlicher Sicherheit in den Weg stellen. Außerdem hören einige auf, sich von Herzen zur Kirche gehörig zu fühlen, um einen Geist der Streitbarkeit zu nähren. Mehr als zur gesamten Kirche mit ihrer reichen Vielfalt, gehören sie zu dieser oder jener Gruppe, die sich als etwas Anderes oder etwas Besonderes empfindet.
99. Die Welt wird von Kriegen und von Gewalt heimgesucht oder ist durch einen verbreiteten Individualismus verletzt, der die Menschen trennt und sie gegeneinander stellt, indem jeder dem eigenen Wohlstand nachjagt. In verschiedenen Ländern leben Konflikte und alte Spaltungen wieder auf, die man teilweise für überwunden hielt. Die Christen aller Gemeinschaften der Welt möchte ich besonders um ein Zeugnis brüderlichen Miteinanders bitten, das anziehend und erhellend wird. Damit alle bewundern können, wie ihr euch umeinander kümmert, wie ihr euch gegenseitig ermutigt und wie ihr einander begleitet: »Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt« (Joh 13,35). Das ist es, was Jesus mit intensivem Gebet vom Vater erbeten hat: »Alle sollen eins sein … in uns … damit die Welt glaubt« (Joh 17,21). Achten wir auf die Versuchung des Neids! Wir sind im selben Boot und steuern denselben Hafen an! Erbitten wir die Gnade, uns über die Früchte der anderen zu freuen, die allen gehören.
100. Für diejenigen, die durch alte Spaltungen verletzt sind, ist es schwierig zu akzeptieren, dass wir sie zur Vergebung und zur Versöhnung aufrufen, weil sie meinen, dass wir ihren Schmerz nicht beachten oder uns anmaßen, sie in den Verlust ihrer Erinnerung und ihrer Ideale zu führen. Wenn sie aber das Zeugnis von wirklich brüderlichen und versöhnten Gemeinschaften sehen, ist das immer ein Licht, das anzieht. Darum tut es mir so weh festzustellen, dass in einigen christlichen Gemeinschaften und sogar unter gottgeweihten Personen Platz ist für verschiedene Formen von Hass, Spaltung, Verleumdung, üble Nachrede, Rache, Eifersucht und den Wunsch, die eigenen Vorstellungen um jeden Preis durchzusetzen, bis hin zu Verfolgungen, die eine unversöhnliche Hexenjagd zu sein scheinen. Wen wollen wir mit diesem Verhalten evangelisieren?
101. Bitten wir den Herrn, dass er uns das Gesetz der Liebe verstehen lässt. Wie gut ist es, dieses Gesetz zu besitzen! Wie gut tut es uns, einander zu lieben, über alles hinweg! Ja, über alles hinweg! An jeden von uns ist die Mahnung des heiligen Paulus gerichtet: »Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!« (Röm 12,21). Und weiter: »Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun« (Gal 6,9). Alle haben wir Sympathien und Antipathien, und vielleicht sind wir gerade in diesem Moment zornig auf jemanden. Sagen wir wenigstens zum Herrn: „Herr, ich bin zornig auf diesen, auf jene. Ich bitte dich für ihn und für sie.“ Für den Menschen, über den wir ärgerlich sind, zu beten, ist ein schöner Schritt auf die Liebe zu, und es ist eine Tat der Evangelisierung. Tun wir es heute! Lassen wir uns nicht das Ideal der Bruderliebe nehmen!
Weitere kirchliche Herausforderungen
102. Die Laien sind schlicht die riesige Mehrheit des Gottesvolkes. In ihrem Dienst steht eine Minderheit: die geweihten Amtsträger. Das Bewusstsein der Identität und des Auftrags der Laien in der Kirche ist gewachsen. Wir verfügen über ein zahlenmäßig starkes, wenn auch nicht ausreichendes Laientum mit einem verwurzelten Gemeinschaftssinn und einer großen Treue zum Einsatz in der Nächstenliebe, der Katechese, der Feier des Glaubens. Doch die Bewusstwerdung der Verantwortung der Laien, die aus der Taufe und der Firmung hervorgeht, zeigt sich nicht überall in gleicher Weise. In einigen Fällen, weil sie nicht ausgebildet sind, um wichtige Verantwortungen zu übernehmen, in anderen Fällen, weil sie in ihren Teilkirchen aufgrund eines übertriebenen Klerikalismus, der sie nicht in die Entscheidungen einbezieht, keinen Raum gefunden haben, um sich ausdrücken und handeln zu können. Auch wenn eine größere Teilnahme vieler an den Laiendiensten zu beobachten ist, wirkt sich dieser Einsatz nicht im Eindringen christlicher Werte in die soziale, politische und wirtschaftliche Welt aus. Er beschränkt sich vielmals auf innerkirchliche Aufgaben ohne ein wirkliches Engagement für die Anwendung des Evangeliums zur Verwandlung der Gesellschaft. Die Bildung der Laien und die Evangelisierung der beruflichen und intellektuellen Klassen stellen eine bedeutende pastorale Herausforderung dar.
103. Die Kirche erkennt den unentbehrlichen Beitrag an, den die Frau in der Gesellschaft leistet, mit einem Feingefühl, einer Intuition und gewissen charakteristischen Fähigkeiten, die gewöhnlich typischer für die Frauen sind als für die Männer. Zum Beispiel die besondere weibliche Aufmerksamkeit gegenüber den anderen, die sich speziell, wenn auch nicht ausschließlich, in der Mutterschaft ausdrückt. Ich sehe mit Freude, wie viele Frauen pastorale Verantwortungen gemeinsam mit den Priestern ausüben, ihren Beitrag zur Begleitung von Einzelnen, von Familien oder Gruppen leisten und neue Anstöße zur theologischen Reflexion geben. Doch müssen die Räume für eine wirksamere weibliche Gegenwart in der Kirche noch erweitert werden. Denn »das weibliche Talent ist unentbehrlich in allen Ausdrucksformen des Gesellschaftslebens; aus diesem Grund muss die Gegenwart der Frauen auch im Bereich der Arbeit garantiert werden«72 und an den verschiedenen Stellen, wo die wichtigen Entscheidungen getroffen werden, in der Kirche ebenso wie in den sozialen Strukturen.
104. Die Beanspruchung der legitimen Rechte der Frauen aufgrund der festen Überzeugung, dass Männer und Frauen die gleiche Würde besitzen, stellt die Kirche vor tiefe Fragen, die sie herausfordern und die nicht oberflächlich umgangen werden können. Das den Männern vorbehaltene Priestertum als Zeichen Christi, des Bräutigams, der sich in der Eucharistie hingibt, ist eine Frage, die nicht zur Diskussion steht, kann aber Anlass zu besonderen Konflikten geben, wenn die sakramentale Vollmacht zu sehr mit der Macht verwechselt wird. Man darf nicht vergessen, dass wir uns, wenn wir von priesterlicher Vollmacht reden, »auf der Ebene der Funktion und nicht auf der Ebene der Würde und der Heiligkeit«73 befinden. Das Amtspriestertum ist eines der Mittel, das Jesus zum Dienst an seinem Volk einsetzt, doch die große Würde kommt von der Taufe, die allen zugänglich ist. Die Gleichgestaltung des Priesters mit Christus, dem Haupt – das heißt als Hauptquelle der Gnade – schließt nicht eine Erhebung ein, die ihn an die Spitze alles Übrigen setzt. In der Kirche begründen die Funktionen »keine Überlegenheit der einen über die anderen«.74 Tatsächlich ist eine Frau, Maria, bedeutender als die Bischöfe. Auch wenn die Funktion des Amtspriestertums sich als „hierarchisch“ versteht, muss man berücksichtigen, dass sie »ganz für die Heiligkeit der Glieder Chris-ti bestimmt« ist.75 Ihr Dreh- und Angelpunkt ist nicht ihre als Herrschaft verstandene Macht, sondern ihre Vollmacht, das Sakrament der Eucharistie zu spenden; darauf beruht ihre Autorität, die immer ein Dienst am Volk ist. Hier erscheint eine große Herausforderung für die Hirten und für die Theologen, die helfen könnten, besser zu erkennen, was das dort, wo in den verschiedenen Bereichen der Kirche wichtige Entscheidungen getroffen werden, in Bezug auf die mögliche Rolle der Frau mit sich bringt.
105. Die Jugendpastoral, wie wir sie gewohnheitsmäßig entwickelten, ist von der Welle der gesellschaftlichen Veränderungen getroffen worden. Die Jugendlichen finden in den üblichen Strukturen oft keine Antworten auf ihre Sorgen, Nöte, Probleme und Verletzungen. Uns Erwachsenen verlangt es etwas ab, ihnen geduldig zuzuhören, ihre Sorgen und ihre Forderungen zu verstehen und zu lernen, mit ihnen eine Sprache zu sprechen, die sie verstehen. Aus ebendiesem Grund bringen die Erziehungsvorschläge nicht die erhofften Ergebnisse. Die Vermehrung und das Wachsen von Verbänden und Bewegungen vornehmlich junger Menschen kann als ein Wirken des Heiligen Geistes interpretiert werden, der neue Wege öffnet, die mit ihren Erwartungen und ihrer Suche nach einer tiefen Spiritualität und nach dem Gefühl einer konkreteren Zugehörigkeit im Einklang stehen. Es ist jedoch notwendig, die Beteiligung dieser Gruppen innerhalb der Gesamtpastoral der Kirche zu festigen.76
106. Auch wenn es nicht immer einfach ist, die Jugendlichen heranzuführen, sind doch in zwei Bereichen Fortschritte erzielt worden: in dem Bewusstsein, dass die gesamte Gemeinschaft sie evangelisiert und erzieht, und in der Dringlichkeit, dass sie mehr zur Geltung kommen. Man muss anerkennen, dass es im gegenwärtigen Kontext der Krise des Engagements und der gemeinschaftlichen Bindungen doch viele Jugendliche gibt, die angesichts der Leiden in der Welt ihre solidarische Hilfe leisten und verschiedeneFormen von Aktivität und Volontariat ergreifen. Einige beteiligen sich am Leben der Gemeinde und rufen in ihren Diözesen oder an anderen Orten Dienstleistungsgruppen und verschiedene missionarische Initiativen ins Leben. Wie schön, wenn die Jugendlichen „Weggefährten des Glaubens“ sind, glücklich, Jesus auf jede Straße, auf jeden Platz, in jeden Winkel der Erde zu bringen!
107. Vielerorts mangelt es an Berufungen zum Priestertum und zum geweihten Leben. Das ist häufig auf das Fehlen eines ansteckenden apos-tolischen Eifers in den Gemeinden zurückzuführen, so dass diese Berufungen nicht begeistern und keine Anziehungskraft ausüben. Wo es Leben, Eifer und den Willen gibt, Christus zu den anderen zu bringen, entstehen echte Berufungen. Sogar in Pfarreien, wo die Priester nicht sehr engagiert und fröhlich sind, ist es das geschwisterliche und eifrige Gemeinschaftsleben, das den Wunsch erweckt, sich ganz Gott und der Evangelisierung zu weihen, vor allem, wenn diese lebendige Gemeinde inständig um Berufungen betet und den Mut besitzt, ihren Jugendlichen einen Weg besonderer Weihe vorzuschlagen. Andererseits sind wir uns heute trotz des Mangels an Berufungen deutlicher der Notwendigkeit einer besseren Auswahl der Priesteramtskandidaten bewusst. Man darf die Seminare nicht auf der Basis jeder beliebigen Art von Motivation füllen, erst recht nicht, wenn diese mit affektiver Unsicherheit oder mit der Suche nach Formen der Macht, der menschlichen Ehre oder des wirtschaftlichen Wohlstands verbunden ist.
108. Wie ich schon sagte, war es nicht meine Absicht, eine vollständige Analyse anzubieten, sondern ich lade die Gemeinschaften ein, diese Ausblicke, ausgehend vom Bewusstsein der Herausforderungen, die sie selbst und die ihnen Nahestehenden betreffen, zu vervollständigen und zu bereichern. Ich hoffe, dass sie bei diesem Tun berücksichtigen, dass es jedes Mal, wenn wir versuchen, in der jeweils gegenwärtigen Lage die Zeichen der Zeit zu erkennen, angebracht ist, die Jugendlichen und die Alten anzuhören. Beide sind die Hoffnung der Völker. Die Alten bringen das Gedächtnis und die Weisheit der Erfahrung ein, die dazu einlädt, nicht unsinnigerweise dieselben Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Die Jugendlichen rufen uns auf, die Hoffnung wieder zu erwecken und sie zu steigern, denn sie tragen die neuen Tendenzen in sich und öffnen uns für die Zukunft, so dass wir nicht in der Nostalgie von Strukturen und Gewohnheiten verhaftet bleiben, die in der heutigen Welt keine Überbringer von Leben mehr sind.
109. Die Herausforderungen existieren, um überwunden zu werden. Seien wir realistisch, doch ohne die Heiterkeit, den Wagemut und die hoffnungsvolle Hingabe zu verlieren! Lassen wir uns die missionarische Kraft nicht nehmen!
Anmerkungen:
53 Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Pastores dabo vobis (25. März 1992), 10: AAS 84 (1992), 673.
54 Paul VI., Enzyklika Ecclesiam suam (6. August 1964), 19: AAS 56 (1964), 632.
55 Johannes Chrysostomus, De Lazaro conciones II,6: PG 48, 992 D.
56 Vgl. Propositio 13.
57 Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Africa (14. September 1995), 52: AAS 88 (1996), 32-33; Ders., Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), 22: AAS 80 (1988), 539.
58 Ders., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Asia (6. November 1999), 7: AAS 92 (2000), 458.
59 United States Conference of Catholic Bishops, Ministry to Persons with a Homosexual Inclination: Guidelines for Pastoral Care. (2006), 17.
60 Conférence des Évêques de France, Conseil Famille et Société, Elargir le mariage aux personnes de même sexe? Ouvrons le débat! (28. September 2012).
61 Vgl. Propositio 25.
62 Azione Cattolica Italiana, Messaggio della XIV Assemblea Nazoinale alla Chiesa ed al Paese (8. Mai 2011).
63 Joseph Ratzinger, Die augenblickliche Situation des Glaubens und der Theologie. Vortrag während des Treffens zwischen der Glaubenskongregation und den Präsidenten der Glaubenskommissionen der Bischofskonferenzen Lateinamerikas, Guadalajara, Mexico, 1996. Veröffentlicht in: L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 26 (1996), Nr. 47 (22. November 1996), S. 9; Vgl. V. Generalversammlung der Bischöfe von Lateinamerika und der Karibik, Dokument von Aparecida (29. Juni 2007), 12.
64 Georges Bernanos, Journal d’un curé de campagne, Paris 1936, Éditions Plon 1974, S. 135.
65 Ansprache zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils (11. Oktober 1962), 4, 2-4: AAS 54 (1962), 789.
66 John Henry Newman, Letter of 26 January 1833, in: The Letters and Diaries of John Henry Newman, Bd. III, Oxford 1979, S. 204.
67 Benedikt XVI., Homilie während der Eucharistiefeier zur Eröffnung des Jahrs des Glaubens (11. Oktober 2012): AAS 104 (2012), 881.
68 Thomas von Kempen, Die Nachfolge Christi, Liber Primus, IX, 5: »Die Einbildung, mit dem Wechsel des Ortes würde es besser, hat schon viele getäuscht«.
69 Wertvoll ist das Zeugnis der heiligen Therese von Lisieux in Bezug auf ihre Beziehung zu jener Mitschwester, die ihr besonders unangenehm war, wobei eine innere Erfahrung eine entscheidende Wirkung hatte: »Eines Abends im Winter verrichtete ich wie gewöhnlich meinen kleinen Dienst, es war kalt, es war dunkel… plötzlich hörte ich aus der Ferne den harmonischen Klang eines Musikinstrumentes, das stellte ich mir einen wohlerleuchteten Salon vor, glänzend in Goldschmuck, worin elegant gekleidete Mädchen Artigkeiten und weltliche Höflichkeiten austauschten; dann fiel mein Blick auf die arme Kranke, die ich stützte; statt einer Melodie vernahm ich von Zeit zu Zeit ihr klagendes Stöhnen […] Ich vermag nicht in Worte zu fassen, was in meiner Seele vorging; was ich weiß, ist, dass der Herr sie mit den Strahlen der Wahrheit erleuchtete, die den trüben Glanz irdischer Feste derart übertreffen, dass ich mein Glück nicht zu fassen vermochte«: Manuscrit C, 29 vo – 30 ro, in: Œvres complètes,, Éditions du Cerf et Desclée De Brouwer, Paris 1992, S. 274-275; (deutsche Ausgabe: Selbstbiographie, Manuskript C, Johannes Verlag Einsiedeln 131996, S. 262].
70 Vgl. Propositio 8.
71 Henry De Lubac, Méditation sur l’Église, Paris 1953. Éditions Montaigne, Lyon 1968, S. 321.
72 Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, 295.
73 Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 51: AAS 81 (1989), 493.
74 Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Inter Insignores zur Frage der Zulassung der Frau zum Amtspriestertum (15. Oktober 1976), VI: AAS 69 (1977) 115. Zitiert in: Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 51, Anm. 190: AAS 81 (1989), 493.
75 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem (15. August 1988), 27: AAS 80 (1988), 1718.
76 Vgl. Propositio 51.
Pilar Puertas, Mexiko/ Münster
Los agentes de pastoral: entre la cultura globalizada y el clericalismo excesivo
“…aunque luego las esperanzas no se cumplan, ponen en marcha muchas cosas.”
Glz. Faus
En este apartado de la exhortación apostólica (76-109), Francisco hace un buen diagnóstico de las tentaciones que aquejan actualmente a los agentes de pastoral: una preocupación exagerada por los espacios personales de autonomía y esparcimiento; un aumento del individualismo, aunado a una crisis de identidad y una disminución del fervor (78); inseguridad ante la desconfianza y el desencanto de la sociedad ante el mensaje de la iglesia (79); un relativismo más peligroso que el doctrinal, que tiene que ver con las opciones fundamentales y los lleva a aferrarse a seguridades materiales o espacios de poder (80); una falta de entusiasmo ante un trabajo que produce cansancio e insatisfacción (82) y que poco a poco va desgastando la fe y provocando desilusión ante la realidad, ante la iglesia y ante uno mismo (83); un espíritu pesimista de derrota (85); una aridez espiritual en sociedades que quieren construirse sin Dios o que se oponen violentamente al cristianismo (86); una mundanidad espiritual que más bien busca la gloria humana y el bienestar personal (93).
Nos encontramos frente a un modelo de iglesia temeroso, pesimista, falto de fe, que fácilmente cae en el derrotismo ante las circunstancias económicas y sociales. Ante esto, la propuesta de Francisco es recuperar la frescura original del Evangelio. El Evangelio es fuente de alegría y vida, y esa alegría debe impulsar a los cristianos a anunciar la buena noticia de los nuevos cielos y la nueva tierra. Eso supone una gran cambio, una verdadera renovación, para dejar de ser una iglesia temerosa y cerrada en sí misma y ser una iglesia “que fascine al mundo, lo cautive con la belleza del amor y lo seduzca con el ofrecimiento de la libertad que da el Evangelio”. El papa reitera en su exhortación el llamado a vivir como hombres y mujeres de esperanza, con una espiritualidad misionera que alimente el encuentro con los demás, el compromiso en el mundo y la pasión evangelizadora (78); hace una invitación a vivir el Evangelio con entusiasmo, con los pies bien puestos sobre la tierra y la mirada vuelta hacia los demás, en especial hacia los más pobres. “Salir de sí mismo para unirse a otros hace bien.” (87)
Francisco lanza una serie de exhortaciones a lo largo del texto: “¡No nos dejemos robar el entusiasmo misionero!” (80), “¡No nos dejemos robar la alegría evangelizadora!” (83), “¡No nos dejemos robar la esperanza!” (86), “¡No nos dejemos robar la comunidad!” (92), “¡No nos dejemos robar el Evangelio!” (97), “¡No nos dejemos robar el ideal del amor fraterno!” (101). En todo momento insiste en el optimismo de la fe sobre el pesimismo actual del catolicismo y en la necesidad de que la iglesia, en todos sus niveles, recupere la actitud misionera y evangelizadora. Sin embargo, creo que no todos los problemas que motivan esas exhortaciones son producto de la actual cultura globalizada, o por lo menos no lo son exclusivamente.
Al final del capítulo, al hablar de “otros desafíos eclesiales”, se refiere el papa a la marginación de los laicos, los jóvenes y las mujeres en la vida de la iglesia. Señala que, a pesar de que los laicos son la inmensa mayoría del pueblo de Dios, en ocasiones no tienen la suficiente conciencia de su responsabilidad laical, sea porque “no se formaron para asumir responsabilidades importantes” o “por no encontrar espacio en sus iglesias particulares para poder expresarse y actuar, a raíz de un excesivo clericalismo que los mantiene al margen de las decisiones” (102). Un poco lo mismo dice al hablar de los jóvenes, quienes, “en las estructuras habituales, no suelen encontrar respuestas a sus inquietudes, necesidades, problemáticas y heridas. A los adultos nos cuesta escucharlos con paciencia, comprender sus inquietudes o sus reclamos, y aprender a hablarles en el lenguaje que ellos comprenden” (105). Me parece que lo anterior también podemos vincularlo con la disminución en el número de agentes de pastoral perseverantes y comprometidos que lamenta el papa. Con frecuencia los laicos –tanto jóvenes, como hombres y mujeres– experimentan una falta de entusiasmo en el trabajo pastoral porque se sienten controlados e infravalorados, porque no se sienten corresponsables ni se identifican con su misión evangelizadora, y naturalmente esto provoca insatisfacción, cansancio y pocas ganas de comprometerse en un trabajo que no sienten propio, hasta terminar disminuyendo el fervor y ahogando la alegría misionera. Si el llamado de Francisco a promover un mayor protagonismo de los jóvenes y una mayor responsabilidad de los laicos en el trabajo parroquial se traduce en hechos concretos, probablemente se logrará que aquéllos realmente se sientan parte de la iglesia y la consideren suya, asumiendo el compromiso de ser y hacer iglesia no sólo a nivel intraeclesial, sino también en el mundo social, político y económico.
En lo que se refiere a las mujeres, Francisco vuelve a reconocer su marginación al interior de la iglesia católica y a plantear la necesidad de ampliar los espacios de su participación, a fin de que se genere “una presencia femenina más incisiva en la iglesia” (103), sobre todo en los ámbitos “donde se toman decisiones importantes” (104). A pesar de que es un tema en el que ha insistido, me parece que tampoco ha dado pasos en esa dirección. Tomando en cuenta, por ejemplo, el relevante papel que juegan las mujeres en la vida familiar, promover una mayor participación femenina en el próximo Sínodo sobre la familia sería una buena manera de empezar a “ampliar los espacios para una presencia femenina más incisiva en la Iglesia”, en un espacio donde, con toda certeza, se tomarán “decisiones importantes”. En varias ocasiones, Francisco ha declarado que para poder reflexionar mejor sobre la función de la mujer en la iglesia, “hay que trabajar más hasta elaborar una teología profunda de la mujer.” De esto se desprende que el papa ignora, o cuando menos no toma en cuenta, los aportes de la teología feminista en las últimas décadas. Entre otros se pueden mencionar: la crítica de la organización jerárquica y patriarcal de la iglesia y la sociedad, la hermenéutica de la sospecha aplicada a la interpretación del mensaje cristiano y los textos bíblicos, la denuncia de iglesias y teologías cristianas de carácter sexista y androcéntrico, la comprensión del movimiento de Jesús como una comunidad de iguales y la defensa de una iglesia incluyente, que haga vida el principio evangélico de igualdad entre hombres y mujeres. Más que pensar en elaborar una teología profunda de la mujer –que ya la hay–, hay que discutir cómo pueden las mujeres vivir un mayor protagonismo en la iglesia, y pensar de qué manera se pueden renovar los espacios de poder y toma de decisiones en su interior, y buscar alternativas para que el clero y los laicos vayan dando pasos para lograr esos cambios.
Es verdad que las palabras y gestos de Francisco son hermosos y esperanzadores, pero no bastan. Como señala Hans Küng, la Evangelii gaudium es una etapa importante, “pero ni de lejos la meta”. Esperemos, pues, el cambio de estructuras que haga posible lo que las palabras y los gestos anticipan, conscientes de que a todas y todos nos corresponde ser actores conscientes y críticos en el seguimiento de Jesús al servicio de los pobres, para ir generando desde abajo esa necesaria “revolución de la ternura” (88) que hará posible construir la iglesia que tantas y tantos queremos y soñamos.