von Katja Strobel
Die Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirchen, der Deutschen Bischofskonferenz und der Griechisch-Orthodoxe Metropolit von Deutschland haben unter dem Titel „Zusammenhalten – Zukunft gewinnen“ ein gemeinsames Wort zur Ankündigung der Interkulturelle Woche 2011 veröffentlicht, die vom 25.9. bis 1.10.2011 stattfinden wird. Zunächst ist zu begrüßen, dass sie sich zu Anfang gegen die Sarrazin-Thesen positionieren: „Insbesondere verbietet es [das christliche Welt- und Menschenbild] jegliche Einteilung der Menschheit in Gruppen oder Rassen, denen unterschiedliche und kaum veränderliche Eigenschaften zugesprochen werden. Eine solche Aufspaltung rüttelt am Fundament unserer Gesellschaft. Letztlich richtet sie sich gegen die Würde des Menschen.“
Anschließend jedoch begrüßen sie die „Bestrebungen im politischen Raum, hier aufgewachsene, gut integrierte Kinder und Jugendliche vor der Perspektivlosigkeit zu bewahren.“ Sie weisen zwar auch auf die „Nöte ihrer Eltern, der Alten, Kranken und gut integrierten Alleinstehenden“ hin. Doch eine dringend notwendige kritische Stellungnahme zur Selektion in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge, die die Einwanderungspolitik seit langem bestimmt, sucht man vergeblich. Genauso wenig ist in der Ankündigung der Versuch zu finden, zu definieren, was das Schlagwort „gut integriert“ bedeutet. Auch fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass es eine Verantwortung der – sich manches Mal als christlich verstehenden – „Mehrheitsgesellschaft“ gibt, aktiv auf MigrantInnen zuzugehen, anstatt ständig von ihnen zu fordern, sich zu integrieren. Das würde z. B. bedeuten, bedingungslos und für alle erreichbar kostenlose Deutschkurse anzubieten. Dringend notwendig wäre zur Zeit auch der Druck auf europäische Regierungen, endlich Flüchtlinge aus Nordafrika aufzunehmen, anstatt die tödliche Einwanderungsverhinderungspolitik weiter zu betreiben. Verantwortungen existieren hier sowohl aus einem Selbstverständnis, das sich für ein würdiges Leben aller Menschen einsetzt, ganz konkret aber auch aus der Kolonialzeit und, aktuell, aus der Zustimmung zum Krieg gegen Libyen, der Tausende in die Flucht an Europas Grenzen treibt. Kein Wort von dieser Verantwortung im Wort der Vorsitzenden.
Die Vorsitzenden der großen Kirchen schließen sich der Sprechweise der Regierung und der Mainstream-Medien an, sprechen sich ausschließlich für „gut integrierte“ MigrantInnen aus und nennen das Engagement der Eltern als erstes, wenn es um die Ausbildung der Kinder geht. Aus der Sicht der Gruppen, die sich seit Jahrzehnten für die Belange von Flüchtlingen und MigrantInnen engagieren, ist das ein weiterer Beweis dafür, dass die Kirchen nicht bereit sind, sich für Menschenrechte auch gegen herrschende Meinung und Regierung zu positionieren.
Dabei fällt das Papier auch hinter Positionierungen aus den eigenen Reihen zurück: Bereits am 17.12.2010 veröffentlichte die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe eine Stellungnahme, die die Defizite des Bleiberechtsentwurfs für gut integrierte Jugendliche benannte:
„Die Diakonie RWL ist enttäuscht von dieser Teillösung und fordert ein umfassendes Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge. „Es ist nicht akzeptabel, jetzt wieder große Gruppen von Betroffenen von einem Bleiberecht auszuschließen“, erläutert Nikolaus Immer, Geschäftsbereichsleiter Soziales und Integration bei der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, die Grundkritik. Die vorgeschlagene Regelung berücksichtige weder ausreichend die hier aufgewachsenen Kinder noch Erwachsene oder kinderlose Paare.“
Noch deutlicher äußerte sich der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein mit seiner Stellungnahme „Bleiberecht für leistungsfähige Jugendliche – Kettenduldungen für alle Anderen?“. Darin heißt es:
„Der Beschluss macht deutlich: Lediglich das jüngste, anpassungs- und leistungsfähigste „Humankapital“ soll abgeschöpft werden, um dem demographischen Wandel in Deutschland zu begegnen. „Von den Jugendlichen, die es schaffen, ihre Schullaufbahn trotz der Bedingungen im Status der Duldung mit Lagerleben, beengten Wohnverhältnissen und Angst vor Abschiebung einigermaßen unbeschadet zu durchlaufen, hängt in Zukunft das Schicksal ihrer gesamten Familie ab und sie müssen dennoch allein in Deutschland zurückbleiben, wenn die anderen Familienmitglieder nicht genug Geld verdienen“, so Johanna Boettcher vom Netzwerk „Land in Sicht! – Arbeit für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein“. Eine Bleiberechtsregelung für Jugendliche ist ein begrüßenswerter erster Schritt, sie darf aber keinesfalls ein Ersatz für eine umfassende stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete sein. Die Absage des Ausschusses an weitere entsprechende Beschlüsse entlarvt die Verantwortlichen selbst als die „Integrationsverweigerer“, die sie allerorts vorzufinden meinen.“
Eine klare Analyse des einseitig definierten Diskurses über „Integration“ findet sich außerdem im Aufruf „Demokratie statt Integration“ des Netzwerks Kritische Integrationsforschung:
„Das Problem sind weder die Armen noch die MigrantInnen, das Problem ist eine Politik, die Armut und Rassismus produziert. Das Problem ist eine Gesellschaft, die sich auch über Ausgrenzung definiert.“
Kirchen, die dieses Problem nicht ansprechen, sondern von „Zusammenhalt“ reden, ohne die realen Machtverhältnisse zu thematisieren, haben zu Recht ein Glaubwürdigkeitsproblem. Sie reden zwar von Nächstenliebe, passen sich aber der Realpolitik an, gehen jedem politischen Konflikt aus dem Weg und stützen damit den Status quo. Daran ändert der Hinweis auf die Forderung nach Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes wenig, wenn gleichzeitig wiederum die Initiative zur Neuberechnung als „Hoffnungszeichen“ begrüßt wird, anstatt den Skandal zu benennen, die dieses verfassungswidrige Gesetz seit 18 Jahren darstellt.
Diese Unzulänglichkeiten gilt es während der Interkulturellen Woche zu thematisieren.