Am 24.11. 2013 hat Papst Franziskus sein apostolisches Lehrschreiben Evangelii Gaudium veröffentlicht. Schon seine bisherigen gelegentlichen öffentlichen Äußerungen haben öffentliche Aufmerksamkeit erregt: seine Predigt zur Flüchtlingsfrage auf Lampedusa, seine Einsetzung einer Kommission zu Reform der Kurie oder sein Interview mit der Jesuitenzeitschrift Civiltá Cattolica vom 19.09., in dem es ebenfalls um die Reform der kirchlichen Strukturen ging.
Auch sein jetziges Lehrschreiben hat zu heftigen Diskussionen geführt: In der Süddeutschen Zeitung, in der FAZ hat man vor allem seine deutliche Kapitalismuskritik ins Visier genommen – auch wenn er selbst nie von Kapitalismus redet. Aber: „Diese Wirtschaft tötet“ heißt es in seinem jetzigen Schreiben. Und er meint es wörtlich. Kein Wunder also, dass es Kritik hagelt, wo man sonst doch gerne mal die moralische Autorität der katholischen Kirche ins Feld führt.
Dass diese Kritik an seinen Worten so offen geführt wird, weist auf die angeschlagene Bedeutung der katholischen Kirche hin. Dafür gibt es viele selbstverschuldete Gründe wie feudale Strukturen, Ausgrenzung der Frauen, eine tönerne Morallehre; aber auch die Verschiebung im Feld des Religiösen in der kapitalistischen Moderne selbst. Kirchliche Institutionen werden für Sinnproduktion und Kompensation nur noch bedingt gebraucht. Das schafft der neoliberale, globalisierte Kapitalismus auf weite Strecken inzwischen selbst.
Mindestens genauso interessant wie die Reaktion der herrschenden Presse ist aber auch das breite Schweigen in der katholischen Kirche. Das päpstliche Lehrschreiben redet nämlich über weite Teile gar nicht von der Notwendigkeit einer Umkehr in wirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Hinsicht. Im Lehrschreiben taucht die Auseinandersetzung mit Ökonomie und Politik erst ganz weit hinten auf. Das heißt nicht, dass es im Schreiben keine herausragende Bedeutung hat. Ganz im Gegenteil. Papst Franziskus setzt diese Kritik am Kapitalismus einfach durchgängig voraus.
Aber das Lehrschreiben redet in erster Linie von einer Umkehr der Kirche selbst und spricht von einer Kirche „im Aufbruch“, von einer Kirche, deren Paradigma „missionarisches Handeln“ ist und die evangelisiert: „Die evangelisierende Gemeinde stellt sich durch Werke und Gesten in das Alltagsleben der anderen, verkürzt die Distanzen, erniedrigt sich nötigenfalls bis zur Demütigung und nimmt das menschliche Leben an, indem sie im Volk mit dem leidenden Leib Christi in Berührung kommt.“ Hier wird übrigens auch seine Nähe zur Befreiungstheologie deutlich.
Das ist, so Papst Franziskus der Sinn jeder kirchlicher Struktur, daraufhin hat sich die Gemeinschaft der Nachfolgenden zu organisieren. Kein Wunder, dass bundesdeutscher Klerus und Episkopat sich in vornehmer Zurückhaltung üben.
Franziskus versteht sein Schreiben als programmatisch. Er geht in seinen strukturellen und inhaltlichen Vorstellungen weit über alles hinaus, was seit dem zweiten Vatikanum an Reformvorstellungen diskutiert worden ist. Aber das II. Vatikanum, die Würzburger Synode, die Bischofsversammlung von Medellín waren Ereignisse, Evangelii Gaudium ist ein Text, Text eines Papstes, der vermutlich in Rom, aber auch sonst in der Kirche nicht nur Freunde hat. Was bedeutet uns dieser Text, was bedeutet uns diese Kirche? Was bedeutet diese Kirche überhaupt noch?
Evangelii Gaudium ist geeignet, diese Fragen aufzuwerfen. Wir möchten deshalb in den folgenden Wochen das ca. 250 Seiten starke Papier hier auf unserer Webseite Kapitel für Kapitel vorstellen: Eingeleitet mit einer Zusammenfassung und einem Kommentar, auf den dann der Text folgt. Wir hoffen auf diese Weise, das Schreiben des Papstes in die Diskussion zu bringen.