Stellungnahme des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim ZdK
zur Karfreitagsfürbitte „Für die Juden“
Zentralkomitee der deutschen Katholiken
Nach seiner Erklärung zur erweiterten Zulassung des Tridentinischen Ritus vom April 2007 hat der Gesprächskreis in seiner Februarsitzung 2008 die verschiedenen Fassungen der Karfreitagsfürbitte erneut beraten und dazu folgende Stellungnahme verabschiedet:
Die von Papst Benedikt XVI. am 4. Februar 2008 promulgierte Karfreitagsfürbitte „Für die Juden“ in der Fassung für den außerordentlichen Ritus hat internationale Proteste von Juden und Christen ausgelöst. Sie trifft jenen Nerv, der für Juden, gleich welcher religiösen Richtung, an ein historisches Trauma rührt: Bekehrung zum Glauben an Jesus Christus! Denn das Gebet für die Juden hatte seit dem Mittelalter am Karfreitag zu harten Demütigungen und gefährlichen Ausschreitungen gegen die „perfiden“ und „verblendeten“ Juden geführt. Dieses Vokabular traditioneller Judenfeindschaft kommt in der neuen Fürbitte zwar nicht vor, aber die dort formulierte Hoffnung auf die Erleuchtung der Herzen der Juden und ihre Erkenntnis Jesu Christi hat alte jüdische Ängste wieder wachgerufen.
Der von Papst Benedikt autorisierte neue Text lautet in deutscher Übersetzung:
„Lasst uns auch beten für die Juden. Dass unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller Menschen.
(Beuget die Knie. – Stille – Erhebet Euch.)
Allmächtiger ewiger Gott, der du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen [vgl. 1 Tim 2,4], gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Fülle aller Völker in deine Kirche ganz Israel gerettet wird [vgl. Röm 11,25f]. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.“
Irritierende Fragen sind durch diese Fürbitte aufgeworfen worden. Wenn im Tridentinischen Ritus von 1570 (zuletzt im Römischen Messbuch von 1962) von Verblendung und Finsternissen die Rede war, jetzt aber um Erleuchtung gebetet wird, meldet sich die Frage, ob dies nicht lediglich eine freundlicher klingende Formulierung derselben Sache ist. Wenn die Juden zur Erkenntnis und damit Anerkenntnis Jesu Christi als Erlöser aller Menschen gelangen sollen, müssen sie sich dann zum Glauben an ihn bekehren – sei es im Laufe der Geschichte oder erst an deren Ende? Oder werden sie den Erlöser der Welt schauen, wenn die Geschichte, die Zeit des Glaubens, zu Ende ist? Ist das Ja der Juden zu Jesus Christus – wann und wie auch immer sie es geben – Bedingung für ihr Heil? Oder gibt es zwei Heilswege: für die Völker mit dem Eintritt in die Kirche, während es für Israel ein Weg zum Heil ohne Kirche ist? Bleibt es beim Gott anheim gegebenen Hoffen und Beten der Kirche für die Rettung ganz Israels, oder soll und muss die Kirche durch die Evangelisierung – gewiss ohne jede Nötigung und ohne jeden Zwang – die Juden zum Glauben an Jesus Christus und das Evangelium einladen?
Solche Fragen und Ängste hat die von Papst Paul VI. im Sinne des Konzils erneuerte Karfreitagsliturgie nicht geweckt. Im Römischen Messbuch von 1970 lautet die Fürbitte in der Übersetzung der authentischen Ausgabe für die deutschsprachigen Bistümer:
„Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will.
(Beuget die Knie. – Stille – Erhebet euch.)
Allmächtiger, ewiger Gott, du hast Abraham und seinen Kindern deine Verheißung gegeben. Erhöre das Gebet deiner Kirche für das Volk, das du als erstes zu deinem Eigentum erwählt hast: Gib, dass es zur Fülle der Erlösung gelangt. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.“
Der Unterschied dieses Gebets zur neu formulierten Bitte ist augenfällig: Zum einen äußert die Kirche im Gebet von 1970, das im ordentlichen Ritus fast überall in der römisch-katholischen Kirche gebetet wird, unmissverständlich ihre Wertschätzung für die Würde Israels, Gottes erwähltem Volk, dem Gott – gemäß der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils „Nostra aetate“, 4 – die Verheißungen und den Bund geschenkt hat, den er nie gekündigt hat noch je kündigen wird (vgl. Röm 9,4 und 11,29). Zum anderen bekennt die Kirche, dass die Juden in der Treue zu Gottes Bund und in der Liebe zu seinem Namen leben, also bereits auf dem Weg des Heils sind. Sie bittet darum, dass Gott sie auf diesem Weg zum Ziel, zur Vollendung führt. Vom Bekenntnis der Juden zu Jesus Christus als Bedingung für das Heil spricht die Kirche hier nicht, weil sie darauf vertraut, dass die Treue zu ihrem Gottesbund die Juden zum Heil führen wird. Diese Überzeugung hat auch unser Gesprächskreis in seiner Erklärung „Juden und Christen in Deutschland“ vom 13. April 2005 klar formuliert: „Jesus Christus ist nach christlichem Bekenntnis das ‚Ja und Amen‘ (2 Kor 1,20) der unwiderruflichen Treue Gottes zu Israel und der ganzen Welt. Dennoch gibt es – um der Treue desselben Gottes willen – ein Heil für Israel ohne Glauben an Jesus Christus.“
Der Vergleich der beiden Gebete macht überdeutlich, dass die Fürbitte von Papst Benedikt XVI. ein Rückschritt hinter die Fürbitte von Papst Paul VI. ist und hinter die wegweisenden Worte und Gesten von Papst Johannes Paul II. zurückgeht. Wir sind enttäuscht und bestürzt, dass Papst Benedikt nicht die Formulierung der „ordentlichen Form“ des Messbuchs von 1970 unverändert auch für die „außerordentliche Form“ des Ritus übernommen hat. Im Motu proprio vom Juli 2007, das den erweiterten Gebrauch des Tridentinischen Ritus erlaubt, heißt es zwar, der nachkonziliare Ritus von 1970 sei die Regel, während der zum allgemeinen Gebrauch frei gegebene Ritus von 1962 nur die Ausnahme sei. Aber es wird dort auch betont, dass beide Formen des Ritus authentisch den Glauben der Kirche bezeugen (lex orandi – lex credendi). Die Zulassung der beiden Formen wiegt besonders schwer bei einem historisch so belasteten Thema wie der Karfreitagsfürbitte für die Juden. Die sich in zwei unterschiedlichen Formen äußernde Uneindeutigkeit des Betens irritiert die Gläubigen in der Kirche und beschädigt das gewachsene Vertrauen zwischen Katholiken und Juden schwer.
Es wurde auch als unnötige Beschädigung dieses Vertrauens und als Ärgernis empfunden, dass Papst Benedikt, so weit bekannt ist, weder vor Veröffentlichung seines Motu proprio im vorigen Jahr noch vor der Promulgation der neuen Karfreitagsfürbitte jüdische Dialogpartner zu Rate gezogen hat, um sich zu vergewissern, ob sein Vorhaben deren religiöse Gefühle verletzt. Zahlreiche briefliche und öffentliche Stellungnahmen – etwa die Erklärung unseres Gesprächskreises vom April 2007 – haben die Brisanz des Vorhabens unmissverständlich deutlich gemacht. Umso weniger verständlich ist es, dass trotzdem die neue Karfreitagsfürbitte für die Juden kommentarlos in Kraft gesetzt wurde und die zu erwartenden heftigen Reaktionen in Kauf genommen wurden. So war die nachfolgende Erklärung von Kardinal Kasper wenig überzeugend, die Aufregung beruhe auf Missverständnissen, weil der Text doch nur die endzeitliche Hoffnung der Kirche ausdrücke.
Wir hoffen darauf und bitten Papst Benedikt darum, dass er seine Entscheidung revidiert und für den gesamten Römischen Ritus nur die Karfreitagsfürbitte von 1970 zulässt.
Bonn, den 29. Februar 2008
Im Namen des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim ZdK
Prof. em. Dr. Hanspeter Heinz
Landesrabbiner em. Dr. h. c. Henry G. Brandt
(Quelle: http://www.jcrelations.net/de/?item=2934)