Plädoyer für die Dritte Welt – Erklärung von fünfzehn katholischen Bischöfen

Als die Gruppe „Kirche der Armen“ sich dessen bewusst wurde, dass das Konzil nicht einmal durch die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ den Bedürfnissen und Erwartungen der Dritten Welt entsprechen würde, drängte Dom Helder Cámara Papst Paul VI. dazu, eine Enzyklika zum Thema „Entwicklung der Völker“ zu versprechen. Dieses Versprechen löste der Papst ein mit der Enzyklika „Populorum Progressio“ von 1967. Und diese Enzyklika wiederum löste eine Erklärung von 15 Bischöfen unter dem Titel „Plädoyer für die Dritte Welt“ aus. Wieder einmal wurden Bischof Helder Cámara aus Brasilien, Bischof Mercier aus Algerien, Bischof Franic aus Jugoslawien sowie Bischof Losdregt aus Laos aktiv. Im Unterschied zu den Selbstverpflichtungen im Katakombenpakt schlagen die Bischöfe hier einen schärfer politischen Ton an.

Wir dokumentieren Ausschnitte aus:

Plädoyer für die Dritte Welt. Erklärung von fünfzehn katholischen Bischöfen, in: Trutz Rendtorff, Heinz Eduard Tödt: Theologie der Revolution. Analysen und Materialien, Frankfurt a. M. 1968, 157-163

1. Als Bischöfe einiger der Völker, die um ihre Entwicklung kämpfen, vereinigen wir unsere Stimme mit dem besorgten Appell Papst Paul VI. in seiner Botschaft Populorum Progressio, um unseren Priestern und Gläubigen ihre Pflichten einzuschärfen und um unseren Brüdern in der Dritten Welt Worte der Ermutigung zuzusprechen.

2. […] Die Völker der Dritten Welt bilden das Proletariat der gegenwärtigen Menschheit. Sie werden ausgebeutet von den Großen und in ihrer Existenz durch diejenigen bedroht, die sich das alleinige Recht anmaßen, nur weil sie die Stärkeren sind, auch die Richter und Polizisten der materiell weniger reichen Völker zu sein. Aber unsere Völker sind nicht weniger weise und gerecht als die Großen dieser Welt. […]

4. Die Kirche weiß, daß das Evangelium die erste und radikalste Revolution fordert, die den Namen Bekehrung trägt, als totale Umkehr, von der Sünde zur Gnade, vom Egoismus zur Liebe, vom Hochmut zu demütigem Dienst. Diese Bekehrung ist nicht nur innerlich und geistlich; sie zielt auf den ganzen Menschen, sie ist leiblich und sozial ebenso wie geistlich und personal. Sie hat einen Gemeinschaftsaspekt, der für die ganze Gesellschaft von schwerwiegender Bedeutung ist, nicht nur für das irdische Leben der Menschen, sondern darüber hinaus für das ewige Leben in Christus, der, über die Erde erhöht, die ganze Menschheit zu sich erhöht.“ […]

5. … Es kommt vor, daß die Kirchen sich so sehr mit einem bestimmten System verbünden, daß man glauben kann, sie seien ein Fleisch wie in der Ehe. Aber die Kirche hat nur einen Gatten, das ist Christus. Sie ist niemals mit irgendeinem System verheiratet, am wenigsten aber mit dem „internationalen Imperialismus des Geldes“ (Pop. Prog.). Sie war auch nicht identisch mit der Monarchie oder dem Feudalismus des Ancien régime, und sie wird es morgen nicht sein mit diesem oder jenem Sozialismus. Es genügt, die Geschichte zu betrachten, um zu sehen, daß die Kirche den Verfall all der Mächte überlebt hat, die zu einer bestimmten Zeit glaubten, sie müßten sie beschützen oder könnten sie gebrauchen. Heute löst die Soziallehre der Kirche, wie sie auf dem 2. Vatikanischen Konzil erneut bestätigt worden ist, die Bande mit dem Imperialismus des Geldes, mit dem sie eine Zeitlang sich verbunden hatte.

6. Nach dem Konzil erheben sich in allen Teilen der Welt energische Stimmen, die fordern, daß mit diesem zeitweiligen Bündnis zwischen der Kirche und dem Geld Schluß gemacht werde. Einige Bischöfe haben dafür schon ein Beispiel gegeben. […]

8. Die Kirche ist niemals mit irgendeinem politischen, ökonomischen oder sozialen System gleichzusetzen in dem, was ihr unveränderliches Wesen ist,in ihrem Glauben, in ihrer Gemeinschaft mit Christus im Evangelium. Sobald eine System aufhört, das Gemeinwohl zu besorgen und dem Profit einiger weniger dient, muß die Kirche nicht nur die Ungerechtigkeit beim Namen nennen, sondern sich von dem ungerechten System trennen und bereit sein, mit einem anderen System zusammenzuarbeiten, das den Bedürfnissen der Zeit besser gerecht wird. […]

12. Christen und ihre Hirten müssen die Hand des Allmächtigen in den Ereignissen zu erkennen wissen, die periodisch die Mächtigen von ihren Thronen stoßen und die Niedrigen erheben, den Reichen die Hände leermachen und die Hungrigen sättigen. Heute „fordert die Welt mit Nachdruck und Kraft die Anerkennung der Menschenwürde in ihrer ganzen Fülle, der sozialen Gleichheit aller Klassen“ (Intervention des Patriarchen Maximos auf dem Konzil, 27.10.1964). Die Christen und alle Menschen guten Willens müssen dieser Bewegung folgen, selbst wenn sie dabei ihre Privilegien oder ihr persönliches Glück aufgeben zu Gunsten der menschlichen Gemeinschaft in einer größeren Sozialisation. Die Kirche ist keineswegs die Schützerin des Großbesitztums. Sie fordert mit Johannes XXIII., daß der Besitz unter alle verteilt wird, denn der Besitz hat von Anfang an eine soziale Bestimmung (Mater et magistra 389-391). Paul VI. erinnerte kürzlich an das Wort des Johannes: „Wenn jemand in dieser Welt Güter hat und sieht seinen Bruder darben und schließt sein Herz vor ihm zu, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm“ (I. Joh. 3,17). […]

14. Die Kirche hat bestimmten Notwendigkeiten für gewissen materielle Fortschritte Rechnung getragen, als sie den Kapitalismus mit seinem Kreditsystem und anderen Methoden tolerierte, die der Ethik der Propheten und des Evangeliums wenig entsprechen. Aber sie kann sich nur freuen, wenn sie in der Menschheit ein anderes soziales System erscheinen sieht, das weniger weit von dieser Ethik entfernt ist. Gemäß der Initiative von Paul VI. Werden die Christen von morgen solche ethischen Werte wie Solidarität und Brüderlichkeit auf ihre wahren christlichen Quellen zurückzuführen haben, aus denen sie sich speisen. Die Christen haben die Aufgabe zu zeigen, welches der wahre Sozialismus ist, nämlich das Christentum im umfassenden Sinne, in der gerechten Teilung aller Güter und fundamentaler Gleichheit (Intervention von Patriarch Maximos 28.9.1965). […]

Gott und die wahre Religion sind immer auf Seiten derer, die eine Gesellschaft der Gleichheit und Brüderlichkeit unter den Kindern Gottes in der großen Menschheitsfamilie zu befördern suchen. […]

17. Man sollte in unseren Worten nicht irgendwelche politischen Inspirationen suchen. Unsere einzige Quelle ist das Wort dessen, der durch seine Propheten und Apostel gesprochen hat. Die Bibel und das Evangelium verwerfen als Sünde gegen Gott jeden Verstoß gegen die Würde des Menschen, der nach seinem Bilde geschaffen ist. In dieser Forderung des Respekts vor der menschlichen Person vereinen sich heute die Atheisten guten Willens mit den Gläubigen zu einem gemeinsamen Dienst an der Humanität in der Suche nach Gerechtigkeit und Frieden.

[…]

19. […] Gott will nicht, daß die Armen immer elend bleiben. Religion ist nicht Opium für das Volk. Die Religion ist eine Kraft, die die Niedrigen erhebt und die Hochmütigen stürzt, die den Hungernden Brot gibt und die Hochstehenden hungern läßt. Sicher, Jesus hat uns gepredigt, daß wir die Armen immer bei uns haben werden; aber das ist so, weil immer Reiche da sind, die die Güter dieser Welt aufkaufen und weil immer gewisse Ungleichheiten bestehen auf Grund unterschiedlicher Begabung und anderer unvermeidlicher Faktoren. Aber Jesus hat uns gelehrt, daß das Zweite Gebot dem ersten gleichsteht; denn man kann nicht Gott lieben, ohne seine Brüder, die Menschen, zu lieben.

20. Wir haben die Pflicht, unser Brot und alle unsere Güter zu teilen. Wenn einige wenige das mit Beschlag belegen, was für andere notwendig ist, dann ist es eine Pflicht der öffentlichen Gewalt, eine Teilung zu erzwingen, die gutwillig nicht geschieht. … Es kann nicht länger zugelassen werden, daß reiche Fremde kommen und unsere armen Völker unter dem Vorwand ausbeuten, sie betrieben Handel und Industrie; es kann nicht länger toleriert werden, daß einige wenige Reiche ihr eigenes Volk ausbeuten. Dadurch wird die Steigerung von immer bedauerlichen Nationalismen provoziert, die der wahren Zusammenarbeit der Völker entgegenstehen.

21. Unglücklicherweise kann heute keine Weltregierung die Gerechtigkeit unter den Völkern erzwingen und die Güter gleichmäßig verteilen. Das gegenwärtig herrschende ökonomische System erlaubt den reichen Nationen, immer reicher zu werden, selbst dann noch, wenn sie den armen Nationen helfen, die dabei im Verhältnis noch ärmer werden. Diese armen Nationen haben deshalb die Pflicht, mit allen gesetzlichen Möglichkeiten, über die sie verfügen, die Errichtung einer Weltregierung zu fordern, in der alle Völker ohne jede Ausnahme repräsentiert sind, und die in der Lage ist, eine gleichmäßige Aufteilung der Güter – unverzichtbare Bedingung für den Frieden – zu fordern, ja sogar zu erzwingen. […]

22. […] die Regierungen müssen sich für die Beendigung eines Klassenkampfes einsetzen, der, entgegen der üblichen Meinung, sehr oft von den Reichen ausgelöst und kontinuierlich gegen die Arbeiter geführt wird, indem sie durch unzureichende Löhne und unmenschliche Arbeitsbedingungen ausgebeutet werden. Das ist ein subversiver Krieg, den das Geld seit langem heimtückisch in aller Welt führt, wobei ganze Völker gemordet werden. Es ist Zeit, daß die armen Völker, unterstützt und geführt von ihren gesetzmäßigen Regierungen, ihr Recht zum Leben wirksam verteidigen. Jesus hat auch sich die ganze Menschheit genommen um sie zum ewigen Leben fortzuführen. Dessen Vorbereitung auf Erden ist die soziale Gerechtigkeit, die erste Form der brüderlichen Liebe. Wie Christus durch seine Auferstehung die Menschheit vom Tode befreit, so führt er alle menschlichen Befreiungen zu ihrer ewigen Erfüllung.