Erste Eindrücke von der Enzyklika “Caritas in veritate”
Die dritte Enzyklika Papst Benedikts XVI., als ´Sozialenzyklika´ deklariert, widmet sich dem überaus komplexen Problemgefüge, das mit dem Begriff ´Globalisierung´ eher vage angedeutet als präzise benannt ist.
Dem Grad der Komplexität des Themas entspricht der Grad der Abstraktion des idealistisch-theologischen Glasperlenspiels, mit dem das Lehrschreiben seine Erörterung beginnt. Wie schon seine beiden ersten ist auch diese Enzyklika theologisch hochkarätig betitelt und beginnt wiederum mit einem Glanzstück klassischer ´dogmatischer Argumentation`.
Liebe und Wahrheit werden in einer Art Grundlagentext (”vor der Klammer” der einzelnen Kapitel) ausgiebig in ihren je einzelnen theologischen Bedeutungen sowie in ihren verschiedensten Interdependenzen erörtert und gegen alle denkbaren Argumente aus der empirischen Wirklichkeit wasserdicht abgesichert: es kann überhaupt kein Problem unter der Sonne gegen, das nicht mit diesem theologischen Dual erklärt, begründet oder kritisch beurteilt werden könnte.
Der Papst greift denn auch – nach einer ausgiebigen Vergewisserung, dass er sich in der Line der großen Sozialenzykliken, nicht zuletzt von populorum progressio weiß – eine schier endlose Anzahl von Themen auf, die natürlich allesamt unter dem ähnlich großen semantischen Dach ´Globalisierung´ denkbar sind: Weltwirtschafts- und Finanzkrise, Armut und Entwicklung, Geburtenregelung und Bioethik, Technik und Massenkommunikation, Homosexualität und Sextourismus usw., nicht zuletzt Technik und Umweltkrise.
Trotz seiner Beteuerung, die Kirche habe für diese vielen Probleme keine “technischen Lösungen” anzubieten (9), wird er gelegentlich sehr konkret: von Detailfragen heutiger Unternehmensethik über die Macht der Konsumentenverbände, wünschenswerte Familiengrößen usw. bis zu ethischer Kreditpraxis und Mikrofinanzierung reicht die schier unerschöpfliche Palette der Vor- und Ratschläge, die er mehr oder weniger ausgiebig ´begründet´.
Im 3. und 4. Kapitel zieht die Enzyklika, um auch für Probleme im Grenzbereich von Theologie und Naturwissenschaften Lösungen anbieten zu können, gleichsam eine zweite argumentative “Decke” ein, die das große Dach “Liebe in Wahrheit” nochmals abstützt: das Verhältnis von Glaube und Vernunft, auch dieses ein evergreen dogmatischer Spekulationen.
Was die Süddeutsche (8.7.09) freundlich als “Verschlungene Gedankengänge” betitelt, kann man getrost als Redundanzen bezeichnen, die immer wieder das abstrakte Thema variieren und den cantus firmus eines letztlich alles besser wissenden `Ja -aber´ je neu begründen und gleichzeitig verschleiern.
Das Vielerlei der Themen und Probleme, die diese Sozialenzyklika – im Unterschied zu ihren Vorläufern – angeht, hat einen hohen Preis: vor lauter Bäumen sieht man den Wald “Globalisierung” nicht mehr. Die Exzesse eines entfesselten Kapitalismus, dessen teuflisches Gesicht wir derzeit in Gestalt unvorstellbarer Schuldenberge vorfinden, die unsere Generation den kommenden vererbt: dazu wäre ein deutliches “Das kann nicht Gottes Wille sein!” notwendig gewesen, ein Glaubensbekenntnis also statt hunderter emsig zusammen getragener Argumente. Abgesehen davon, dass die Enzyklika trotz gelegentlich deutlicher Kritik an einzelnen Aspekten der Krise die Globalisierung letztlich doch nach dem bekannten römischen “Sowohl-als-auch”-Schema bewertet: eine klare Absage an den neo-liberalen Kapitalismus, wie ihn gerade seine gegenwärtige Mega-Krise erfordert hätte, sucht man in dem Lehrschreiben vergebens. Die neo-liberaler Ideologie entspingenden Exzesse, die eine zunehmende Zahl von Christen und kleinen christlichen Kirchen (wie der Reformierte Bund) zur Glaubens- und Gewissensfrage erklären, werden durch das penetrante ´Ja – aber´ entschärft.
Die in den ersten Echos meistzitierte Forderung des Papstes nach einer Weltautorität ist nicht neu. Diese Enzyklika macht jedenfalls deutlich, dass eine solche anders begründet sein müsste als durch moralische Appelle und politische Äquidistanz zu allen politischen Positionen. Ihrem Utopiegehalt nach liegt die Idee einer Weltregierung derzeit auf der gleichen Ebene wie der Traum, dass bald einmal ein Papst einen processus confessionis in seiner Kirche anstößt und auf den Weg bringt, an dessen Ende er im Namen des Gottesvolkes den Götzen Kapital ex cathedra als solchen brandmarkt.
Womöglich liegt die Tatsache, dass die Enzyklika so viel spontanen Beifall aus verschiedensten Richtungen bekommt, ganz schlicht darin begründet, dass man sie wie einen Steinbruch benutzen kann, aus dem jeder sich das Detail sucht, das ihm passt. Umso wichtiger scheint es, ihre Architektur zu verstehen.
Hermann Steinkamp